Direkt zum Hauptbereich

Carl Rogers und der Unterschied zwischen Konversation und therapeutischem Gespräch

 Carl Rogers (1902-1987) fand eine Form des therapeutischen Gesprächs, wie sie vor ihm noch niemand praktiziert hatte. In den 1940er Jahren, in den USA, nannte er seine Methode „the non-directive therapy“, die nichtdirektive Therapie. Später gab er ihr den Namen „client-centered therapy“, klientenzentrierte Therapie. Beginnend in den 60er Jahren fand  die Arbeitsweise von Carl Rogers auch in Deutschland Verbreitung. Hier wird sie Gesprächstherapie genannt.
Dieser Begriff führt immer wieder zu Missverständnissen. Es entsteht der Eindruck, Therapeut und Klient unterhalten sich. Sie führen eine, vielleicht sogar angeregte Konversation. Wer sich nicht näher mit der Materie befasst, sagt sich natürlich: „Eine Konversation? Dann bin ich auch Therapeut. Komm mal morgen Nachmittag vorbei. Trinken wir ein Tässchen Kaffee miteinander und danach bist du geheilt.“
Die Frage heißt: Kann ein Gespräch therapeutisch wirksam sein? Die Antwort lautet: Ja, allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen. Damit aus einer Alltags-Unterhaltung ein therapeutisches Gespräch wird, müssen drei Bedingungen erfüllt sein:
-        Anders als in den üblichen Unterhaltungen, in denen wir hauptsächlich damit beschäftigt sind unsere eigene Meinung und unsere eigenen Erfahrungen mitzuteilen, wird sich der Therapeut im klientenzentrierten Gespräch auf das Zuhören konzentrieren. Dazu wird er nicht nur die Ohren benötigen, sondern alle seine Sinne. Er wird sämtliche Antennen ausfahren, um so weit als möglich den Gesprächspartner zu erfühlen. Nur so wird er nach einiger Zeit des Zuhörens verstehen, was die Worte des Gesprächspartners bedeuten. Zuhören heißt, sich öffnen für das Anderssein des Gegenüber. Der Therapeut muss sich auf sein Gegenüber einlassen. Auf diese Weise in Kontakt gehen heißt immer, eine fremde Welt betreten. Man muss sich nur vorstellen, ich erlaube einem Fremden, meine innere Welt zu betreten. Da wünsche ich mir doch vor allem Behutsamkeit und Umsicht.
-        Wie von selbst geht aus dieser Betrachtungsweise hervor, dass der Therapeut seinen Klienten respektieren muss. Es kann sein, dass er die Handlungsweise seines Gegenübers nicht richtig findet. Dennoch wird er den anderen als Menschen respektieren, ihn in seiner Einmaligkeit und Andersartigkeit wertschätzen .
-        Während das einfühlsame Zuhören und die Achtung der Andersartigkeit des anderen  leicht verständliche Voraussetzungen für ein professionelles Gespräch sind, erschließt sich der dritte Punkt nicht so leicht. Hier geht es um Authentizität. Carl Rogers hat den Therapeuten immer empfohlen echt zu sein. Die Kongruenz, wie er es nannte, hat sich ihm in den vielen Jahren der Praxis als die wichtigste Voraussetzung herausgestellt.

Nun stellt sich die Frage, warum sollte diese besondere „Haltung“ des Therapeuten beim Klienten heilende Wirkung erzielen? Carl Rogers sagte dazu, der Klient „wird einige seiner Gefühle und Einstellungen tiefer erkunden. Er wird wahrscheinlich einige seiner verborgenen Seiten entdecken, die ihm zuvor nicht bewusst waren. Wenn er sich von mir geachtet fühlt, ist es höchstwahrscheinlich, dass er sich selbst mehr achten wird.“  Und wenn der Therapeut, soweit es geht, darauf verzichtet, eine Maske zu tragen oder eine Rolle zu spielen, dann wird diese Haltung, früher oder später, auf den Klienten überspringen. Er wird ebenfalls damit anfangen, seine Verkleidungen abzulegen und sich seinem wahren Selbst zuzuwenden.
In unseren Alltagsgesprächen geht es meist darum herauszufinden, wie wir unser Leben verändern und verbessern können und wie wir alles so darstellen können, dass wir gut dastehen. Im therapeutischen Gespräch nach Carl Rogers geht es um das Gegenteil: Du musst gar nichts verändern, nichts schöner erscheinen lassen als es ist, vielmehr, die Dinge sehen und annehmen wie sie sind. Nicht ein anderer sein wollen, sondern immer mehr der werden, der wir sind. Solch eine Haltung trifft man doch eher selten an in einer Konversation an der Theke oder im Kaffeehaus.


Am 7. November 2024 beginnt im Thalamus Stuttgart eine einjährige Ausbildung zum Gesprächstherapeuten nach Carl Rogers. Sie um fasst 6 Wochenenden à vier Tage, das sind rund 200 Stunden Seminarzeit. 
Leitung Dr. Rajan Roth und Deva Prem Kreidler-Roth.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Das Besondere an unserer therapeutischen Arbeit Oder „was wir unter Ganzheitlichkeit verstehen“.

    Fritz Perls kennt die Begegnung mit der Leere aus der eigenen Erfahrung. Das ist das Tor zu einer anderen erweiterten Form der Gestalttherapie. Kollegen, vor allem deutsche Autoren nach 1970, schreiben über den leeren Stuhl, über Kontakt und Widerstand, über das 5 Phasen Modell der Persönlichkeit, zugleich Erklärungsmodell der Therapie neurotischen Verhaltens, über die Leere jedoch liest man bei den Gestalt-Nachfahren wenig bis nichts. Andere Autoren befassen sich damit, Ken Wilber, Stanislaw Grof, Eckart Tolle z. B., nicht aber die Perls-Schüler, obwohl doch bei Fritz die Erfahrung der Leere und das Hineingehen in die Mitte der Leere so wichtig war. Stemmler schreibt zwar über die Leere, übersieht aber den Zusammenhang von Leere ist gleich Stille ist gleich reines Bewusstsein. Ein Seinszustand, in dem die Dualität aufgehoben ist. Reines Bewusstsein, wie es bei Kinslow auf so simple Art beschrieben ist: „Reines Bewusstsein ist eines, ohne Form.   Das heißt, es hat keine Grenzen

Fritz Perls und die perfekte Therapie

von Rajan Roth                                                                                                                                                                               Fritz Perls hat polarisiert. Er wurde vergöttert oder verteufelt. Kritiker schrieben: Milan Sreckovic  im Handbuch der Gestalttherapie: “Die radikale Ablehnung und Missachtung der ethischen Standards ebenso wie die Verachtung der bestehenden Konventionen und die radikale Verweigerung einer Differenzierung der privaten Person vom Beruf des Psychotherapeuten, die P. Goodman und F. Perls konsequent lebten – und dadurch haben sie eine unsägliche Tradition in der Gestalttherapie initiiert -  ist bei allem Respekt gegenüber kultur- und gesellschaftskritischem Freigeist und ebensolcher Unbestechlichkeit meiner Überzeugung nach unverantwortlich und unethisch, mit keiner Theorie oder politischen Weltanschauung begründbar und auch nicht mit mir bekannten gestalttherapeutischen Wertorientierungen zu vere

Die Migration reicht bis in meine Praxis

  So genau weiß ich es nicht mehr, auf jeden Fall waren wir im therapeutischen Gespräch an einen Punkt gelangt, an dem sich die Stimme meiner Klientin so verändert hatte, dass nicht mehr zu übersehen war, da sitzt ein Kind vor mir. Ich sag, schließ die Augen, sag mir wie alt bist du gerade? 5 sagte sie oder 6. Ich ließ sie beschreiben wo sie sich befindet, was sie in ihrer näheren und ferneren Umgebung sehen kann, und sie schilderte mir, dass sie auf dem Hof eines Sägewerks in der Ecke mit Holzabschnitten spielt. Der Vater arbeitet hier und keiner hat Zeit für sie. Im weiteren Verlauf der Sitzung stellte sich heraus: Ergül war in Deutschland geboren und als sie 3 Monate alt war, brachte die Mutter sie zu ihren Eltern in die Türkei. Dort wuchs sie bei der Großmutter auf. Sie fühlte sich geliebt, fühlte sich wichtig, hatte alle Freiheiten. In der Erinnerung ein paradiesischer Zustand. Nach fünfeinhalb Jahren kamen ihre Eltern und erklärten dem Kind, es sei jetzt Zeit mit ihnen nach Deut